
Gemeinsam stark auf der Bühne
Das AlarmTheater räumt derzeit für seine Produktionen einen Preis nach dem nächsten ab. Erst kürzlich wurde das Stück „Herzrasen – Zeit der Wunde(r)“ mit dem Projektpreis „Kinder- und Jugendkulturland NRW“ des Landes ausgezeichnet. Das neue Stück „Ich habe da etwas“ bewies ebenfalls großes Potential dazu.
Fans des AlarmTheaters erkannten im Titel womöglich eine Referenz an das voran gegangene Projekt.Denn darin standen sich zwei Jugendliche gegenüber und teilten dem Publikum jeweils mit, dass sie ‚da etwas hätten‘. Zum Einen die Angst, die imstande ist, den Hals zuzuschnüren, zum Anderen den Mut, der hilft, die Angst zu überwinden und wieder Bewegung ermöglicht.
„Ich habe da etwas“ knüpfte daran an, und auch hier waren unter den jugendlichen Akteuren wieder syrische Flüchtlinge – deren Angst und Mut nachvollziehbar ist – beteiligt. Das Thema Integration fasste das Produktionsteam dieses Mal aber noch weiter: Mit dabei waren Seniorinnen und Senioren, mit und ohne Demenz, aus dem Wilhelm-Augusta-Stift der AWO. Und der behutsame und einfühlsame Umgang miteinander war an vielen Stellen der Aufführung spürbar und berührend.
So ähnelten sich die Erzählungen des im Rollstuhl sitzenden Alfred vielen Berichten, die heute aus dem nahen Osten zu hören sind. Alfreds Bericht drehte sich aber um den Verlust der Mutter bei der Flucht aus Schlesien, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Er verstünde nicht, was Krieg alles anrichten könne. Und wünschte sich zum Schluss seiner Erzählung das gemeinsame Singen des Lieds „An die Freude“. Paul flüstert – jedoch für jeden hörbar – ihm zu: „Das kommt erst später“. Es gibt nachsichtiges Lächeln von allen Seiten, auch von Alfred selbst.
Suche nach Identität
Kern des Stücks ist die Identität oder die Suche nach ihr. Und geboten werden können da aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen der Darsteller nur die verschiedenen Ansätze. Sind die Jugendlichen teilweise noch auf der Suche nach einer ‚Bestimmung‘, wissen die Flüchtlinge meist schon mehr: Dass die Familie, die sie verloren haben, einen Teil ihrer Identität ausgemacht hat und sie nun, in Bielefeld angekommen, einen Neuanfang wagen müssen.
Demgegenüber sind die Senioren – umgangssprachlich – bereits „gereift“, haben aber ebenfalls Verluste erlitten. Einigen von ihnen droht sogar, die Erinnerung abhanden zu kommen. Und was wäre das Ich ohne Gedächtnis?
Eine weitverbreitete Beobachtung bei Demenzkranken ist die, dass Lieder und Melodien lange in ihrem Langzeitgedächtnis vorhanden bleiben. Eine der vielen, nahe gehenden Momente bildete so die Szene, in der Jung und Alt paarweise tanzten und sangen. „Wenn ich ein Vöglein war, und auch zwei Flügel hätt, flög ich zu dir.“
Die „Inter-Integration“ war den Regisseurinnen Britta Sophie Bornhöft-Graute und Indira Heidemann auf wunderschöne Weise gelungen. Und auch in der letzten Reihe des Publikums war es den gegenseitigen Blicken der Darsteller ablesbar, dass dort eine alters- und kulturübergreifende Zuneigung entstanden war.
Leider fand am Samstag bereits die Derniére statt. Aber wie bei „Herzrasen“ bleibt zu hoffen, dass es – vielleicht – noch einmal zur Wiederaufnahme kommt. Immerhin war jede Vorstellung restlos ausverkauft.
(Fotos: Cornelia Lembke)