
„Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden“
Ein opulentes Finale für eine Werk-Trilogie: Nach dem „WERT“ im Jahr 2012 im eigenen Haus und dem „DIALOG“ quer über die Stadt verteilt beendete das AlarmTheater am Samstagabend seine Reihe „Made in Bielefeld“ mit der einmaligen Präsentation von „WIR“ – und das Open Air auf dem Vorplatz des Neuen Rathauses. Und wie bereits bei der Produktion „Da kann ja jeder kommen“ waren neben der Jungen Bühne des Theaters minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge die Hauptdarsteller des Stücks. Eingetaucht in grellrotes Licht und vor einer großen Menge an Neugierigen, die sich bis über die Stufen und das Kioskdach drängten, ging es dann los.
„Hass und Verachtung bringen uns niemals näher. Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug um jeden von uns satt zu machen. Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein, wir müssen es nur wieder zu leben lernen“, wurde WIR mit Charlie Chaplins Schlussrede aus dem Film „Der Große Diktator“ eingeläutet, bevor die Manege frei gemacht wurde, für eine dynamische, von Musik, Gesang und Tanzeinlagen durchdrungene Performance.
Eine Karton-Kulisse
Auf und aus Kartons muss der Umherziehende leben. Das entspricht bestimmt nicht ganz der Realität des Flüchtenden, aber der Symbolgehalt für das westliche Auge ist klar, wenn mit „verpackten Lebensinhalten“ getanzt und jongliert wird. Denn sie sind ja eh egal und zerbrechlich, einmal abgesehen von dem Selbst, das erhalten werden will. Und dann wird auch noch der hochkomplizierte Inhalt eines Zuweisungsbescheid von einer solchen Pappe abgelesen.
Unter Geschrei und Tanz werden die Kartons umgeworfen, neu aufgeschichtet, ein erinnernder Gesang aus der Heimat führt sogar dazu, dass der Sänger von einem Kartongebilde herunter stürzt. Und alle bekommen zwischendurch noch, an der Mauer stehend, einen Ice Bucket übergestülpt, allerdings gefüllt mit „Asche auf das Haupt“.
„Wir – das kann man nicht in Worte fassen. Wir – auch wenn ich noch so viele Sprachen spreche. Wir – das spürt man, wenn der Schweiß deines Gegenübers zu deinem eigenen wird“, so ein Gespräch im Stück. Enge, Verfolgung, Not und Flucht kamen schon auf noch bedrückendere Weise bei „Da kann ja jeder kommen“ zur Sprache und alles das wird mindestens mit jeder neuen Nachricht über Schicksale aus dem Mittelmeer aktuell.
Von Generationen zu Kulturen
In WERT wurde generationenübergreifend – und titelgebend – die unterschiedliche Wertbemessung einzelner Leben hinterfragt, im DIALOG der interkulturelle Brückenschlag aus dem Theater heraus, hin zu vielen Orten der Stadt (z.B. ins Gefängnis, auf dem Friedhof) gesucht.
Aber mit WIR hat das Ensemble des AlarmTheaters gezeigt, welche großartigen Früchte jahrelange Zusammenarbeit tragen kann, auch wenn dies vorherige Ressentiments vielleicht nicht zuließen. Aus acht verschiedenen Nationen haben sich dafür begeisterte Mitspieler gefunden. Es wäre schade, wenn sie wieder gehen müssten, aber aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage müssten sie bei Volljährigkeit mit Sicherheit einen Antrag auf Asyl anderswo stellen.
Die gesamte „Made in Bielefeld“-Trilogie ist über drei Jahre hinweg für das 800-jährige Stadtjubiläum Bielefelds entstanden. Da dieses Projekt aus der Gegenwart heraus entstanden ist, stellt sich nunmehr die Frage, was das AlarmTheater den Bielefeldern mitgibt für die Zukunft. Eventuell die Hoffnung auf die Einsicht, sich künftig auf viel mehr Bekanntschaften aus anderen Ländern einzustellen. Das mag einigen Leuten Angst bereiten, aber wie man am Beispiel sieht: Hey, die sind geil.
Disclaimer: Der Schreiber war Mitdarsteller beim Stück „WERT“ und AlarmTheater-Blogger für „DIALOG“.