
Von der Schwierigkeit, sich zu verändern
„Es ist wohl beinahe so schwer, hier einen Sitzplatz zu bekommen wie einen Therapieplatz“, sagte Andreas H. Abel am Mittwochabend im Saal der Bürgerwache. Tatsächlich waren über 100 Interessierte erschienen um seinem Vortrag mit dem Titel „Eigentlich bin ich ganz anders – ich komme nur so selten dazu“ zu lauschen. In diesem Teil der Vortragsreihe des Arbeitskreises niedergelassener Psychologischer Psychotherapeuten (app, Link) wollte Abel über die Schwierigkeiten, sich zu verändern, reden. Und er mutmaßte lächelnd über den Andrang: „Vielleicht sind sie ja hier, weil sie sich verändern wollen. Mal sehen, wie ich sie heute enttäuschen kann.“
Den Titel des Vortrags als Zitat Ödön von Horváths entlarvend, stellte Abel bald die Frage in die Runde, woher denn der Wunsch käme, sich zu verändern. Jeder Mensch hätte das Bedürfnis nach Gesundheit, Wohlbefinden und Ausgeglichenheit. Es gäbe aber das Dilemma, dass Veränderung meist von denselben Instanzen verhindert wie sie auch gewollt wird: Der Wunsch entstünde nämlich im Umfeld des Alltags, des Berufs, der Familie, des Bankkontos bis hin zur psychischen Verfassung, selten bei den Betreffenden selbst.
Warum es aber so schwierig ist, die Veränderung anzugehen, läge gleich an zwei komplexen, psychischen Sachverhalten: Der „Macht der Gewohnheit“ und dem „inneren Schweinehund“.  Außerdem: Eventuell wollen andere die Veränderung mehr als ich, und ich will mich gar nicht ändern. Oder ich kann mich gar nicht ändern und will so bleiben, wie ich bin.
„Ich will so bleiben, wie ich bin.“ – „Du darfst!“
Der Markt suggeriere, dass Veränderung und Optimierung notwendig sei. Allein der Slogan „Ich will so bleiben, wie ich bin. – Du darfst“ wirke zunächst beruhigend – aber nur so lange, wie die angesprochene Person auch dem Ideal entspräche. Andere Spots begründen den Sinn der Veränderung mit Sätzen wie „Weil ich es mir wert bin“ und suggerieren einen eigenen Gewinn beim Kauf eines Produkts. „Also ich wehre mich immer, wenn meine Frau mich ändern will“, scherzte Abel daraufhin.
Ganz neue Industrien wären inzwischen auf den Markt getreten, zum Beispiel – analog zur „Wellness“ – die „Selfness“, die Selbstveränderungskultur. Sie verspräche eine dauerhafte Lebensqualität auf hohem Niveau, indem das Selbst durch Steigerung der Selbstkompetenz optimiert würde. Daneben: Die „Selbst-GmbH“ (als Nachfolger der „Ich-AG“), Infotainment mit Motivationstrainern, esoterische und spirituelle Weltanschauungen und Glaubenssysteme und, und, und. Abel: „Kein Wunder, dass wir in den Praxen volle Wartelisten haben“.
Komplexere Anforderungen führen oft zur Überforderung. „In der psychologischen Praxis versuchen wir, den Patienten vom Veränderungsdruck zu entlasten und dazu zu bringen, dass er seine Schwächen erst einmal hinnimmt. Die Akzeptanz ist das Tor, durch das man gehen muss, um wirklich etwas zu verändern“, sagte er im Interview mit der Zeitung „Die Glocke“.
Die „Macht der Gewohnheit“ durchbrechen
Es ginge darum zu erkennen, welche Ziele der Mensch im Leben hat und was er denn tut, um diese zu erreichen. Das Dumme: Der Glaube, das äußere Verhalten zu gewissen Situationen sei an Emotionen gekoppelt. Und diese sind nicht immer rational begründbar. Es gelte also, nicht nachvollziehbare Emotionen zu erkennen und die „Macht der Gewohnheit“ zu durchbrechen.
Der Grund für eine Gewohnheit sei das Verlangen nach einer spezifischen Belohnung. Und auch das Ersetzen einer lästigen Gewohnheit durch eine harmlose verlangt eine solche. Gewohnheiten ändern? Abel antwortete auf diese Frage – wenn er ihm auch kritisch gegenüber steht – mit Charles Duhigg: „Experimentieren Sie systematisch mit Ihrer Gewohnheit. Ergründen Sie, was sie auslöst, welche Belohnung sie aufrechterhält. Und dann machen Sie einen Plan. Wie möchte ich mich verhalten und reagieren? Was will ich ändern? Veränderungen stellen sich nur langsam ein. Sie brauchen Geduld und Beharrlichkeit.“
Letztendlich ginge es also nicht darum, sich selbst zu verändern, sondern das Verhalten. Dann würde sich manches verändern und im Zuge dessen vielleicht auch das Selbst.
Und so kam Abel zum Schluss: „Wollen sie sich verändern? Wollen sie werden wie sie sind? Oder wollen sie einfach so bleiben? Machen sie doch was sie wollen!“
Andreas H. Abel, Jahrgang 1955, ist seit 2000 niedergelassen als Psychologischer Psychotherapeut in der Gemeinschaftspraxis Neumann und Abel, Kiskerstr. 19, im Gesundheitszentrum am Klösterchen.
Schöne Besprechung. Von dem Vortrag hätte ich gerne rechtzeitig erfahren;-) Wenn auch das Tafelbild (?) kompletter Unsinn ist.
wow, jetzt hab ich das erst mal gelesen.
das reicht schon – für eine Lesung. Einerseits bedaure ich, nicht da gewesen zu sein, andererseits hätte ich nach so einem Program kaum schlafen könne. So viele Zuhörer.. da muss der Bedarf zwischen Veränderung und endlich mal ICH SEIN ganz schön aus dem gleichgewicht geraten sein. Noch was in der Richtung geplant? Dann komme ich auf jeden Fall mal persönlich vorbei und lasse mich belesen…oder auseinandernehmen und ganz anders wieder zusammensetzen
Wer weiß, was dabei rumkommt. LG
[…] Siehe auch: Von der Schwierigkeit, sich zu verändern […]
„Eigentlich bin ich ganz anders – ich komme nur so selten dazu“
3 1/2 Jahre zu spät …schade, das wäre etwas für mich gewesen.
Wer etwas introvertiert veranlagt ist, kann gerade „draußen“ oft nicht so aus seiner Haut, auch wenn man es noch so gern möchte. Nur in besonderen nicht alltäglichen Situationen und Ausnahmezuständen werde ich vom Intro zum aufgeregten Extro – das genaue Gegenteil von dem, was ich sonst verkörpere. Und wenn ich merke: Da ist ein Mensch, der mich einfach mag, wie ich bin – dann geht alles. Dann wird aus der zurückhaltenden Kerstin ein Kumpel, eine Freundin, eine gute Zuhörerin, eine Helferin – was gerade so ansteht.
Letztes Jahr im Mai erlebt:
Gesprächspartner stellt eine Frage, ich antworte, lache ihn freundlich an, erzähle ihm in zwei (zusätzlichen) Sätzen, was mich gefreut hat … und sehe: Er verdreht genervt die Augen. Ich verstumme. Und beim nächsten Mal antworte ich exakt nur sachlich auf die Frage. Nicht, weil ich es so wollte. Sondern weil ich ja nicht so sein konnte (durfte), wie ich gern gewollt hätte. Weil (nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal) der Eindruck entstand: Der mag mich gar nicht.
Was ich dann mache? Ich lächle die Enttäuschung weg – und BLEIBE, wer und wie ich bin. Man kann nicht jedem gefallen.