Tempo 30 auf der Stapenhorststraße

Tempo 30 auf der Stapenhorststraße

Oberbürgermeister Pit Clausen sprach ein Machtwort, das Tempo 30 auf der Stapenhorststraße soll demnach kommen. Am Dienstag vergangener Woche hatte er sich gegenüber den Bedenken aus der Bezirksvertretung (BZV) Mitte ausgesprochen, denn die dortigen Politiker hatten sich von der Entscheidung des Amts für Verkehr übergangen gefühlt.

Was war geschehen?

Im Dezember letzten Jahres wurde eine Radfahrerin an der Ecke Ellerstraße schwer verletzt, weil sie einer geöffneten PKW-Tür auswich und dadurch mit dem Bus kollidierte. Das Amt rechnete nach und kam auf 47 Unfälle in fünf Jahren, bei denen Radfahrer in Mitleidenschaft gezogen wurden und immer Autofahrer die Schuld besaßen. Das Verkehrsamt ordnete von sich aus die Umsetzung eines Tempo 30 für die Stapenhorststraße an.

Und nicht nur das. Von den an der Straße gelegenen 32 Parkplätzen sollen – nach aktuellem Stand – elf wegfallen, um Engpässe bei den Radwegen zu vermeiden. Außerdem solle die Benutzungspflicht für die Radwege wegfallen, da nicht an allen Stellen die 1,50 Meter Sicherheitsabstand gewährleistet seien.

In der Bezirksvertretung sah man das noch am 1. September anders. Einerseits sei die Geschwindigkeit bei den Unfällen nicht ausschlaggebend gewesen, zum Anderen würde der Wegfall der Parkplätze dem anliegenden Einzelhandel schaden, so die Gegenargumente.

Umsetzung bleibt abzuwarten

Clausen war sich sicher, dass die BZV hierüber keine Entscheidungsbefugnis habe, aber ein Anhörungsrecht, dem gewahrt wurde. Wie das Tempo 30 nun umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Zunächst soll es noch eine Bürgerinformation geben, dann sollen Stellungnahmen der BZV und vom Stadtentwicklungsausschuss abgewartet werden.

Martin Schmelz, Mitglied im Verkehrsclub Deutschland und auch im Vorstand der Bielefelder Wählergemeinschaft „Bürgernähe“, schrieb einen ausführlichen Leserbrief sowohl an die beiden Tageszeitungen als auch an Bielefelds Westliche. Hier gibt es ihn ungekürzt zu lesen:

 

„Tempo 30: Verbesserung des Miteinanders von Mensch und Verkehr

Aktive Lärmschutzmaßnahmen sehen vor, dass die Geschwindigkeit auf vielen innerstädtischen Hauptstraßen – auch auf mehrspurigen – von Tempo 50 auf 30 gedrosselt werden soll. Und das nicht nur in Bielefeld, sondern auch in zahlreichen anderen Städten weltweit.

Hintergrund ist die Aufstellung von Lärmaktionsplänen, welche das Ziel haben, die Lärmbelastung, vor allem durch den Autoverkehr, der Bürgerinnen und Bürger zu reduzieren. Auch in Bielefeld leiden viele Menschen massiv unter Lärm. Die Vermeidung ist aktiver Gesundheitsschutz und die Verbesserung der Lebensqualität in unserer Stadt.

Die CDU-SPD-Bundesregierung hat mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 beschlossen, den klimafreundlichen Fuß- und Radverkehr durch die Erhöhung der Sicherheit zu fördern. Deshalb hat das Umweltbundesamt in einem Forschungsprojekt untersucht, ob die Vorteile von Tempo 30 die Nachteile für den fließenden Verkehr überwiegen.

In den meisten untersuchten Fällen wirkt Tempo 30 positiv, auch wenn keine Begleitmaßnahmen wie Umbauten oder Radarkontrollen ergriffen werden. Die Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h bewirkt Rückgänge der mittleren Geschwindigkeit um bis zu 15 km/h, wenn keine Begleitmaßnahmen ergriffen werden. Mit Geschwindigkeitskontrollen ist der Effekt größer. Es werden vor allem die (oftmals zu) hohen Geschwindigkeiten reduziert. Die Messergebnisse zeigen, dass der Befolgungsgrad mit zunehmender Dauer seit der Anordnung zunimmt.

Die gemessenen Lärmwerte (Mittelungspegel) sinken nach der Anordnung von Tempo 30 um rund 1 bis 4 dB(A). Die AnwohnerInnen fühlen sich mit Tempo 30 auch bei einer geringen Pegelsenkung spürbar weniger durch Lärm belästigt als vorher. Zusätzlich gibt es positive Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit, die Wohn- und Aufenthaltsqualität sowie die Luftqualität.

Die realen Reisezeitverluste durch Tempo 30 gegenüber Tempo 50 liegen tagsüber bei 20 und nachts zwischen 0 und 20 Sekunden je Kilometer. Die Qualität des Verkehrsflusses bleibt unverändert.

Klar ist, dass Geschwindigkeitsreduzierungen im Gegensatz zur „akustischen Käfighaltung von Menschen“ durch den Einbau tausender Schallschutzfenster, weitaus kostengünstiger, wirksamer und einfacher umzusetzen sind.Für mehr Sicherheit und Lebensqualität in Bielefeld!

Mit dem Verzögern der Tempo 30 km/h-Regelung und der subjektiven Einschätzung, die Gefahren für weitere schwere Unfälle auf der Stapenhorststraße fachgerecht beurteilen zu können, haben sich die Vertreter der Bezirksvertretung Mitte eine große Verantwortung aufgeladen.

Genügen ihnen 47 schwere Unfälle innerhalb von fünf Jahren nicht, weiteren Unfällen zeitnah vorzubeugen, um diese möglichst zu verhindern? Ist es akzeptabel, die aktuelle Gefahrenlage auf der Stapenhorststraße hinzunehmen, weil auf anderen Bielefelder Straßen noch mehr schwere Unfälle passieren?

Wie fachfremd in der Bezirksvertretung argumentiert wurde, macht die Beurteilung von Jan-Helge Henningsen (CDU) deutlich, der meinte, dass der letzte schwere Unfall, nichts mit Geschwindigkeit zu tun habe, sondern mit der Unachtsamkeit eines Autofahrers in einem stehenden Fahrzeug. Er übersieht dabei, dass die zu hohe zul. Höchstgeschwindigkeit auf der Stapenhorst- und anderen Bielefelder Straßen, Auto- und Busfahrer alltäglich dazu verleitet, Radfahrer mit einem zu geringen Sicherheitsabstand von weniger als 1,5 m zu überholen. Dadurch wird Radfahrern der notwendige Bewegungsraum genommen, und die Möglichkeit, im Notfall einer sich öffnenden Autotür ausweichen zu können verwehrt. So auch geschehen bei dem letzten schweren Unfall auf der Stapenhorststraße und weiteren schweren Unfällen mit Radfahrern in Bielefeld.

Jan-Helge Henningsen ignoriert auch die Tatsache, dass nach einer Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) (Bericht V9 1994), Türkollisionen 46 % aller Radunfälle auf der Fahrbahn ausmachen. Diese Unfallart tritt auch auf Radwegen, Radfahrstreifen und Angebotsstreifen auf, die keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zu parkenden Autos haben. Sehr häufig führt mangelnder Überholabstand auch indirekt zu vermeintlichen Alleinunfällen von Radfahrern.

Zudem ist es schon grotesk, dass Hartmut Meixner (CDU), ohne eigene konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Verkehrssicherheit auf der Stapenhorststraße zu machen, der Verwaltung vorwirft, sie wolle mit Tempo 30 km/h die Bezirksvertretung ausschalten.

Hans-Jürgen Franz (SPD) übersieht, dass Interessensverbände zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmer, wie z.B. der Verkehrsclub Deutschland (VCD), zum Erscheinungsbild heutiger Demokratien gehören und notwendiger Weise der einseitigen Autolobby gegenüberstehen müssen.

Zur Zeit wird in allen großen Städten die Einführung von Tempo 30 km/h auch auf Hauptverkehrsstraßen im Zusammenhang mit der gesetzlichen Verpflichtung zur Lärmminderung, zur Verbesserung der Luftqualität und der Förderung des umweltfreundlichen und gesundheitsfördernden Radverkehrs lautstark und sehr kontrovers diskutiert. Bei den aktuell zahlreichen Straßenbauprojekten in Bielefeld wird sich zeigen, ob wir die Chancen zur Verbesserung der Lebensqualität in unserer Stadt nutzen, indem wir unseren städtischen Lebensräumen mehr Sicherheit und neue Qualitäten geben.

Martin Schmelz“

Ergänzend ging hier noch ein offener Brief der Initiative „Gesund leben im Bielefelder Westen“ ein, vertreten durch Herrn Martin Enderle, der von 1994 bis 1998 Bielefelder Dezernent für die Bereiche Gesundheit, Umwelt und Verkehr war. Der Wortlaut an den Bezirksbürgermeister:

„Sehr geehrter Herr Franz,

die Initiative „Gesund leben im Bielefelder Westen“ hat sich vor etwa einem Jahr gebildet.
Ihr gehören Fachleute an, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit dem Thema
Gesundheit in der Stadt bzw. im Quartier befassen.

Mit diesem offenen Brief wenden wir uns an Sie, um deutlich zu machen, dass wir
dringenden Handlungsbedarf an der Stapenhorststraße sehen:

Die Stapenhorststraße durchschneidet die westliche Innenstadt. Sie ist Teil des Quartiers
„Rund um den Siegfriedplatz“. An ihren schmaleren Stellen ist sie von Hauswand zu
Hauswand gerade mal 15 Meter breit. Dort wird gewohnt, eingekauft, Fahrrad gefahren, be- und
entladen. Die Stapenhorststraße ist auch Schulweg! Fünf große Bielefelder Schulen
befinden sich im Umfeld. Und: auf der Straße rollen LKW, bis zu 20 Tonnen schwer. Zum
Vergleich: auf der Bundesstraße 68 im Stadtbereich von Halle sind nur 7,5 Tonnen erlaubt.

Die Stapenhorststraße ist gefährlich. Dass sie (noch) kein Unfallschwerpunkt ist, kann kein
Grund sein, nicht zu handeln. Die einzig schnelle und wirksame Schutzmaßnahme ist eine
Temporeduzierung auf 30 km/h. Sie kostet fast nichts. Vielleicht ein paar Sekunden für die
Autofahrer, aber das muss uns die Sicherheit und Gesundheit der Menschen an der
Stapenhorststraße wert sein.

Wir bitten Sie als Bezirksbürgermeister, sich für die schnellstmögliche Ausweisung der
Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h einzusetzen.

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