
Sattelschlepper im Quartier
Durch die Vollsperrung der Jöllenbecker Straße müssen täglich bis zu 17.000 Autos umgeleitet werden. Die Folgen hat Viertel-Redaktionsmitglied Bernhard Wagner recherchiert.
Nach einer beachtlichen Lebensdauer von 110 Jahren müssen die Kanäle unter der Jöllenbecker Straße nun saniert werden. Wie lange die Arbeiten zwischen West- und Melanchthonstraße dauern, kann niemand genau sagen. Eigentlich sollen sie bis zum Jahresende abgeschlossen sein, aber Regen oder Frost könnten den Planern noch einen Strich durch die Rechnung machen. Sicher ist nur, das die Straße während des Weihnachtsgeschäfts geöffnet sein soll.
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Das haben die betroffenen Geschäfte dann auch bitter nötig. Über ausbleibende Kunden und Umsatzeinbrüche berichtet etwa der Besitzer von Lifestyle Moden. Auch Bernardo Gomez, der seit über fünf Jahren spanische Lebensmittel und Spezialitäten anbietet, weiß noch nicht, ob er die lange Durststrecke überstehen wird. Die Baustelle schreckt vor allem seine auswärtigen Kunden ab. Der Lebensmittelhändler wünscht sich von der Stadt Hinweisschilder, um auf die Zugänge zu den betroffenen Geschäften aufmerksam zu machen. Einzig der Schlafberater Wilfried Scholz kann der Baustelle auch gute Seiten abgewinnen. Sein Eckgeschäft ist immerhin noch von der Siegfriedstraße aus zu erreichen und vor seiner Tür sind noch keine Bagger im Einsatz. Er genießt die Ruhe an der sonst sehr lauten Ausfallstraße. »Die Schlafberatung ist angenehmer geworden, fast ein neues Lebensgefühl.« Aber auch Wilfried Scholz weiß, dass die Baustelle näher rückt.
Des einen Freud, des anderen Leid
Tatsächlich ist die Stille auf der Jöllenbecker Straße beeindruckend. Vor allem am Wochenende oder wenn der tägliche Baulärm verebbt, kommt sie manchen Anwohnern fast gespenstisch vor. Auch etliche Seitenstraßen, nun zeitweise Sackgassen, erleben eine angenehme Verkehrsberuhigung. Was des einen Freud, ist des anderen Leid. Besonders in West- und Schloßhofstraße staut sich der Umgehungsverkehr. Anwohner, die bei einer eigenen Erhebung vor etlicher Zeit 4.500 bis 5.000 Autos täglich gezählt haben, glauben das sich der Verkehr jetzt verdoppelt hat. Anwohner Detlev Meyer zeigt auf die dichte Bebauung der oberen Schloßhofstraße. Die Entlüftung sei schlecht, die Abgase stauen sich. »Im Gegensatz zur Stapenhorststraße ist hier nie der CO2-Anteil gemessen worden.«
Hans Martin, stellvertretender Leiter des Verkehrsamtes, versucht das Problem durch großräumige Umleitungsempfehlungen zu lösen. Aber auch er weiß, dass Straßenschilder im Zeitalter von Routenplanern und Navigationssystemen nur noch bedingt wahrgenommen werden. Viele, die die Universität oder Stadtteile wie Gellershagen oder Babenhausen ansteuern, suchen sich ihren Weg durch den Bielefelder Westen. Oft viel zu schnell und viel zu laut.
Trucks im Wohngebiet
Mitunter donnert sogar Schwerlastverkehr durch die dicht bebauten Wohnviertel. Die Stapenhorststraße ist für Trucks über 20 Tonnen gesperrt, die Unterführungen unter der Bahntrasse für die hohen Laster oft zu niedrig. So sind Anwohner plötzlich mit den sprichwörtlichen ›30-Tonner Diesel‹ konfrontiert, die Gewerbegebiete in Jöllenbeck ansteuern. Die Kurven in den schmalen Wohnstraßen des Viertels sind viel zu eng, etwa an der Kreuzung West- und Schloßhofstraße, so dass die Trucks oft hilflos durch den ganzen Westen irren, Bürgersteige für ihre Abbiegemanöver beanspruchen und am Ende dann doch wieder auf der eigentlich gesperrten Stapenhorststraße landen.
Das die Anwohner der Schloßhofstraße während der Bauarbeiten vorrübergehend höhere Belastungen hinnehmen müssen, findet Detlef Meyer nicht so schlimm. Ihn stört vor allem die Dauerbelastung im Wohngebiet. Weil viele Autofahrer ihre Schleichwege zur Universität und in die schnell wachsenden Wohngebiete in Babenhausen und Dornberg suchen. Streitpunkt ist die Abfahrt des Ostwestfalendamms an der Jöllenbecker Straße, die es den Autofahrern erlaubt, geradeaus in die Weststraße zu fahren und so die dicht bebauten Wohn- als Durchgangsstraßen zu nutzen. Da hilft es wenig, wenn die offizielle Beschilderung um den Westen herumführen will. Ein Blick in gängige Routenplaner des Internets verweist die Verkehrsplanung ins Reich der Theorie. Wer etwa von der Eckendorfer Straße kommend die Universität anfahren will, bekommt neben der Route über die Stapenhorststraße auch den Weg über West- und Schloßhofstraße angeboten. Und zwar mit dem Hinweis: Gleiche Zeit, kürzere Strecke. Seit langem fordern daher Anwohner, die Geradeausspur an der Abfahrt des Ostwestfalendamms zu schließen, um den Durchgangsverkehr zumindest etwas zu reduzieren. Bei der Stadtverwaltung steht man dieser Idee ablehnend gegenüber und in der jetzigen Situation will man im Verkehrsamt erst recht nichts davon wissen. »Im Moment müssen alle Möglichkeiten genutzt werden um den Verkehrsfluss zu erhalten«, sagt Hans Martin.
(erschienen in der „Viertel„, Nr. 28, aktuell überall im Westen kostenlos erhältlich)
Ich wünsche mir dieser Tage einen Zebrastreifen über die Schloßhofstraße in Höhe des Kiosks/Tischlein deck dich. Minutenlanges warten auf die Chance, die Straße zu überqueren, wegen der nicht abbrechenden Autowelle.
Die angesprochene „Wohnstraße“ gibt es gar nicht. Dieser Begriff wird gern angewendet, wenn man sich selbst vor Verkehr schützen will und dafür andere mehr belasten möchte. An Jöllenbecker oder Stapenhorststraße wohnen aber auch Menschen, sogar noch viel mehr als in den ruhigen, kleinen Straßen. Und diese Menschen sollten genauso ein Anrecht auf Ruhe und saubere Luft haben wie alle anderen auch. Eine gerechte Verteilung des Gesamtverkehrs wäre die Lösung, und nicht immer nur die Umleitung über sowieso schon vielbefahrene Hauptstraßen. Übrigens, auch den Begriff der „Schleichwege“ gibt es in der Straßenverkehrsordnung nicht, er dient ebenso wie die „Wohnstraße“ nur dazu, den Verkehr aus ruhigen Straßen zu verscheuchen. Ich persönlich fahre absichtlich, wenn ich die Wahl habe, durch ruhigere Straßen statt durch laute, um deren Anwohner zu entlasten. Zum Beispiel wähle ich die Bismarckstraße oder die Lina-Oetker-Straße statt der Weststraße.
Oh Heiliger St. Florian…
warum soll ich an der Stapenhorststr. abfahren, wenn ich in der Nähe des Bürgerparks wohne und von der Eckendorfer Str.
komme ?
Ist doch immer das Gleiche:
Neue Straßen und Autobahnen? Ja, bitte (z.B. A33)!
Noch mehr Parkplätze? Ja, bitte!
Noch mehr Autos? Ja, bitte!
Noch stärker motorisierte Autos? Ja, bitte!
Noch schnellere Autos? Ja, bitte!
Noch größere Autos? Ja, bitte (s. die Rückkehr der SUVs)!
Nur alles bitteschön nicht vor meiner Haustür!!!!
Ganz ehrlich? Genau so läuft es doch. Da hat Katja völlig recht. Solang sich am Nutzungsverhalten der Autofahrenden nichts ändert, bleibt das Problem. Das ist zur Zeit in den Seitenstraßen der Jöllenbecker gut zu beobachten. Hier verkehren nun spürbar mehr Kraftfahrzeuge als sonst, wobei es sich doch nur um einen Bruchteil der Fahrzeuge handelt, die sonst über die Jöllenbecker rasen. Ja, rasen, denn an die max. zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h halten sich die wenigsten. Zwischen Jibi und Nordpark wird oft viel zu schnell gefahren. Gemessen wir da leider nie, nicht einmal beim populistischen Blitzmarathon. Auch in den mit 30 km/h eigentlich verkehrsberuhigten Seitenstraßen wird jetzt noch schneller gefahren, schließlich muss die Fahrzeit irgendwie wieder herausgeholt werden. Morgens einfach fünf Minuten früher losfahren? Blödsinn, einfach aufs Pedal treten!
Ändern wird sich erst dann etwas, wenn der Spritpreis verdoppelt oder die Parkgebühren drastisch steigen würden oder gleich Verhältnisse wie in London eingeführt würden. Allerdings müssten dann auch an den Endhaltestellen der Stadtbahn hinreichend viele Parkplätze vorgehalten werden.