Mit dem AlarmTheater im Gefängnis

Mit dem AlarmTheater im Gefängnis

Mal gucken, ob es mich gibt(c)Rebecca Budde de Cancino (16)

Foto: Rebecca Budde de Cancino

„Wir sagen nicht, warum wir hier sind,“ sagen die Darsteller im aktuellsten Stück des AlarmTheaters. Damit wird die brennendste Frage des Publikums abgewürgt. Denn die Produktion mit dem Titel „Mal gucken, ob es mich gibt“ findet nicht irgendwo statt, sondern an einem exponierten Ort: In der Justizvollzugsanstalt Brackwede-Ummeln, zusammen mit einigen ihrer Insassen.

Und es ist ein rasantes Ding, das das AlarmTheater dort erarbeitet hat. So kraftvoll hat man die Produktionen bisher kaum erlebt. Das fiktive Ministerium für Justiz, Sicherheit und Ordnugsliebe kündigt über die Lautsprecher zu Beginn ein neues Programm mit dem Namen „Fly me to the Moon“ an. Sechs Auserwählte von „Bibra I“ lassen sich darauf ein und bewerben sich dafür mit ihrer Performance.

Mal gucken, ob es mich gibt(c)Cornelia Lembke (2)

Foto: Cornelia Lembke

Bedrückend ist der Moment, in dem eine weibliche Akteurin ihr Wort an ihre Kinder richtet: „Verzeiht mir, meine Kinder, dass ich euch so lange alleine lasse.“ Aus der Einsamkeit der Mauern heraus werden Wünsche geäußert wie die Nacht mit flatterndem Gewand zu durchtanzen. Doch es folgt die Einsicht: „Wünsche sind nur solche, wenn sie unerfüllt bleiben“. Es werden Dinge geäußert, die für die Zuschauer selbstverständlich, den Inhaftierten aber nicht möglich sind. Jemand möchte gerne eine uralte Bibliothek besuchen oder seinen Führerschein machen. Eine andere würde gerne einen Baum umarmen oder überhaupt einen besten Freund haben.

Leid- und Lebenserfahrung

Eine tiefe Leid- und Lebenserfahrung findet in „Mal gucken, ob es mich gibt“ statt und wird hier präsentiert. Und wie wird auf das Leben „draußen“ vorbereitet? Ein männlicher Darsteller zeigt zum Beispiel seinen Arbeitsalltag in der Gefängniswäscherei, in dem er die dortigen Bewegungen in einer sehr schnellen, dynamischen und lauten Choreographie darstellt.

Die Darsteller bieten alles, um am neuen „Mond“-Programm teilnehmen zu können. Ausladende Tänze und Musikinstrumente kommen zum Einsatz. Und der Rolling Stones-Hit „Angie“ wird umgedichtet zu „Antje, wieso bist du nicht bei mir?“.

Mal gucken, ob es mich gibt(c)Cornelia Lembke (74)

Foto: Cornelia Lembke

Es wird ihnen mit langandauernden, stehenden Ovationen gedankt. Doch das Stück ist wider Erwarten noch nicht zu Ende: Es kommt noch zu einem gemeinsamen Tanz durch die Reihen des Publikums, bei dem die anwesenden Wärter etwas nervös wirken. Aber es wird alles gut. Nicht nur das, es kommt sogar noch zu einem besonders bewegenden Moment. Aus den hinteren Reihen gesellen sich einige der minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge der letzten AlarmTheater-Produktion zu den Inhaftierten und tanzen gemeinsam mit ihnen. Das ist gelebte, doppelte Integration.

Veränderung

Noch nie habe er ein so ehrliches Theaterstück gesehen, sagt bei der anschließenden Fragestunde ein Zuschauer. „Ich war lange für mich alleine“, gesteht einer der Inhaftierten. Es sei auch die ein oder andere Träne bei der Arbeit mit dem Ensemble geflossen. Aber das habe ihn sehr verändert.

(Titelbild: Cornelia Lembke)

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