
Guerilla-Lesen bei den „Textspalten“
Stell Dir vor, Du gehst für eine Besorgung in den Laden und dann steht dort plötzlich jemand und liest etwas vor. Genau das hatten die Veranstalterinnen der Aktion „Textspalten“ mit fünf kurzen Lesungen an fünf verschiedenen Orten im Sinn. Das Künsterlinnenforum Bielefeld-OWL hatte dazu aufgerufen – acht Vortragende rotierten am Samstag halbstündlich in der Röstwerkstadt, dem Goldzwerg, dem Antiquariat in der Arndtstraße, der Goldschmiede Kranz und dem Siggi-Kiosk.
„Lesen an Orten, an denen man damit rechnen muss, dass man dort stört“, nannte Mitleser Volker Backes das Prinzip. Oder auch: „Guerilla-Lesen“. Und manch ein Kunde war auch überrascht, als Backes plötzlich im Kiosk auftauchte und ein Bielefeld-Gedicht, das mit Regenwetter endete, vortrug. Doch es wurde zugehört. Und es sogar erraten, dass es sich bei Backes mittels einer Übersetzungsmaschine erstellten Poem „Was wird aus den gebrochenen Herzen?“ im Original um „What Becomes of the Broken hearted?“ von Jimmy Ruffin handelte.
Bei keinerlei inhaltlichen Vorgaben erwartete die Spaziergänger zwischen den Stationen die reinste Vielfalt: Michael Jochinke wählte im Antiquariat Auszüge aus Jean Pauls „Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch“ und stelzte durch ein heutigen Ohren fremd klingendes Deutsch, wies aber auch auf angebliche Schwärzungen des Herausgebers im Buch hin, in denen der Montgolfiere Giannozzo ein Rezept für das perfekte Luftgemisch im Heißluftballon verriet.
tschick in der Goldschmiede
In der Goldschmiede las Julia Schulze-Forsthövel aus Wolfgang Herrndorfs „tschick“, einem Jugendroman über die Freundschaft zwischen einem deutschen und einem russischen Klassenkameraden. In der vorgetragenen Passage erfährt der Schüler Maik Klingenberg, dass die Weisheiten, die er von seiner Mutter gelernt hat („Du kannst über alles reden“ und „Was die Leute denken, ist scheißegal“) nicht unbedingt stimmen müssen, wenn er einen Aufsatz über den Mamas Aufenthalt in einer Reha-Klinik schreibt und in der Klasse vorliest. Auch wenn seine Mitschüler ihm dies honorieren, zerreißt sein Lehrer das Schriftstück vor seinen Augen.
Ganz auf Kinderliteratur hatte sich Cordula Fink-Schürmann im Goldzwerg spezialisiert. Vor den dort anwesenden Kindern und ihren Eltern trug sie die Kurzgeschichte „In Shanghai“ von Joe Lederer vor. Eine Europäerin siedelt darin nach Shanghai und fühlt sich – ganz auf sich allein gestellt – völlig fremd. Von chinesischen Dienern erhält sie eine Münze mit einem Loch in der Mitte geschenkt. Wollfäden sind um die Münze gewickelt. Erst spät entdeckt sie die Bedeutng des Geschenks: Jeder der Fäden steht für eine Stunde Glück, den die Schenkenden der Beschenkten abgetreten haben.
Von 11 bis 13.30 Uhr lasen die Vortragenden (weitere: Alexandra Dören, Andreas, Monika und Susanne Walter) mitten im Geschehen – während die Kunden im Kiosk Zeitschriften oder Zigaretten kauften, in der Röstwerkstadt Kaffee genossen, oder interessiert in einem der anderen Läden stöberten. Das erste „Textspalten“-Experiment glückte – denn es herrschte respektvolle Stille.
Volker Backes über den Bielefelder Westen
Zum Abschluss gab es in den Räumen des Künstlerinnenforums an der Stapenhorststraße 73 noch ein kleines Bonmot: Volker Backes las einige seiner Texte in Ruhe vor. Darunter auch der im Bielefelder Westen mittlerweile ‚berüchtigte‘ „West-Ost-Gefälle“. Und mit freundlicher Erlaubnis gibt es den Mitschnitt davon hier zu hören:
„Ist in politischen Diskussionen oder Fernsehsendungen von geteilten Städten die Rede,…“
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is ja wahnsinn was hier alles los ist.Ich war nicht anwesend – macht auch nichts. Ich schreibe unverdrossen Kommentare und lese gerne. Die kleine Hexe ist mit 56 Jahren immer noch mein lieblinks Buch. Besonders wenn wunschzeit angesagt ist – Weihnachten eben.