
Gedrehte Gedichte
Lyrik ist nicht unbedingt nach jedermanns Geschmack. Vielleicht, weil Gedichte „die höchste Kunstform von Text“ sind, wie Professoer Uwe Göbel von der Fachhochschule für Gestaltung weiß. Studierende seines Seminars „Flattersatz“ durften sich anlässlich der Tagung des NRW-Schriftstellerverbands in Bielefeld mit lyrischen Beiträgen auseinandersetzen. Und das bedeutete eine „enorme Herausforderung, diese Gedichte mit den jeweiligen Vorstellungen umzusetzen“. Vor allem unter Praxis-Bedingungen, wie sie in Agenturen herrschen.
Das Projekt ist zusammen mit dem Bielefelder Schriftsteller und Lyriker Hellmuth Opitz entstanden. Zusammen mit Göbel hatte Opitz, der auch Creative Direktor/Texter der größten Bielefelder Werbeagentur ATS ist, die Idee einer visuellen Interpretation von Gedichten der Tagungsteilnehmer. Herausgekommen sind dabei 17 Videopräsentationen („Poesieclips“) und Plakate, die auf unterschiedlichste Weise einen Zugang zu den Texten darstellen. Zu sehen sind sie am Freitag, 3. Juni, ab 20 Uhr in der Stadtbibliothek.
Hellmuth Opitz‘ kurzer Beitrag „Leviten lesen“ wurde von Sükrü Kulaber ins Bild gesetzt. Das Gedicht, in dem es oberflächlich um einen rot geschminkten Mund geht („Dieser Lippenstift ist doch wohl eine Kampfansage“), letztlich aber um die leeren Worte, die ihm entweichen („Die Augen fahren über diesen Mund mit seinem Rot und den dahinter kühl möblierten Räumen“), erhält von Kulaber im Video einen übergroßen Mund mit Musik und Tuba-Klängen. Und die dicken ,schwarzen Linien, die in exakt der Länge über die Lippen gelegt sind wie der Schriftsatz des Originalgedichts, verleihen ihm „ganz überraschend etwas Zugenähtes“ (Opitz).
Für die Studierenden war die Herangehensweise nicht einfach. „Es hat erst einmal eine Weile gedauert, das Bild zu verstehen und Symbole zu suchen“, sagt Kulaber. Und Christine Papst, die sich dem relativ kurzen Text „Pech“ von Isabel Lipthay gewidmet hatte: „Ich dachte auch, es sei locker-flockig, aber das ist es nicht.“
Die Betrachter sind gefordert: „Verträgt sich Bildsprache mit Sprachbildern? Sagt ein Bild wirklich mehr als 1000 Worte? Oder ist es umgekehrt?“ stellt Uwe Göbel die Frage. Seine Studierenden hat er für die Realisierung praxisnah gefordert, denn: „Nur in der Praxis wird richtig gelernt“. Es hätte während des Seminars Zwischenpräsentationen mit Opitz gegeben, und er habe auf termingerechte Bearbeitung bestanden – mitten im Semester. Mittlerweile nennt er seine Studierende auch bereits ‚Gestalter‘.
Und es sei spannend, was da präsentiert wird. Die präsentierten Plakate sind als Unikate während der heutigen Veranstaltung zu erwerben, es wird auch ein von Henry Schaper gestaltetes Booklet dazu geben. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Arbeiten auch in den Räumen der FH an der Lampingstraße 3 zu sehen sein.
(Bild oben, von links: Uwe Göbel, Hellmuth Opitz, Tim Wimmer, Sükrü Kulaber, Christine Papst und Henry Schaper)