
Einfach alles anvertrauen
„Ich werde, hoffe ich, Dir alles anvertrauen können, wie ich es bei noch niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, Du wirst mir eine große Stütze sein,“ schrieb Anne Frank in ihr Tagebuch am 12. Juni 1942. Es war
der 13. Geburtstag des literarisch begabten Mädchens und ein Jahr später musste sie sich mit anderen Menschen in einem Amsterdamer Hnterhaus für zwei Jahre vor den Nazis verstecken. Um weiter zu schreiben, darüber, was dort passierte. Und um am Ende doch leider mit bloß 15 Jahren umzukommen.
Soweit die tragische und herzzerreissende Geschichte um die junge Schreiberin und ihre Schilderungen in der selbst gewählten Gefangenschaft weltweit bekannt wurde, umso bemerkenswerter war es zu sehen, wie das AlarmTheater dieses Thema umsetzte. In „Geschichten aus dem Hinterhaus – Anne Frank war nicht allein“
nähert sich das kleine Zwei-Personen-Ensemble auf einfühlsame Art und Weise dem Alltag im beengten Raum.
Acht Personen teilten sich nachweislich das Versteck hinter dem Firmengebäude von Annes Vater – zwei Familien (Frank, van Pels) und ein Alleinstehender (Fritz Pfeffer, genannt Dussel). Das Stück dreht sich allerdings nur um zwei Personen: Anne und Peter, den Sohn der van Pels. Es beweist Intimität, Anne ‚war nicht allein‘, und das spendet Trost. Obwohl jedem halbwegs lesenden Menschen klar sein dürfte, was danach passiert ist.
Doch um die Folgen geht es nicht, sondern um das Währenddessen bis dahin.
Mal suchen sie Nähe, mal suchen sie Abstand. Zwei Menschen, die sich in fast gleichem Alter befinden, treffen sich unter widrigsten Umständen für zwei Jahre in denselben Räumen – manchmal nur von einer kleinen Tür getrennt. Mohammad als Peter und Joana als Anne betreten die Bühne fast ausschließlich auf Stühlen mit kleinen Rollen darunter, denn in dem Amsterdamer Hinterhaus-Versteck hätte man auch wegen der beengten Verhältnisse kaum aufrecht stehen können. Das Licht ist sehr schwach, die Stimmung gedrückt. Sie können nicht fortlaufen und sind an ihre Stühle ‚gefesselt‘.
Anna spielt mit dem Lippenstift, sendet Peter einen Herzchen-Gruß auf der Fensterscheibe, er entgegnet dies mit einem entflammten Zündholz – welches von Anna aus der Ferne des kleinen Raums neckisch ausgefächert wird. Aber sie dürfen sich in der Enge nicht ausleben. „Sei doch leise. Nicht das Klo benutzen,“ lautet eine der nicht wenigen Warnungen, die Anne an Peter richtet, die in ansonsten stiller, weil notwendiger, Atmosphäre ausgesprochen werden. Man darf sich nicht verraten, wenn die Leidenschaft füreinander auch noch so groß ist.
„Ich sehne mich nach Freiheit, Freunden, und Alleinsein,“ ist dann auch der verständliche Wunsch Annes nach dem Rückzug in das stille Kämmerlein, dass doch aktuell so voll ist. Nach einer Radio-Ansprache Hitlers über die Auslösschung der Juden ist Peter so aufgebracht, dass er im selben Jargon verlangt, Anne und ihre Schwester Margot sollten die Hausfrauenarbeiten übernehmen: „Wer morgends keine Kartoffeln schält, sollte mittags Kartoffeln schälen…“, was ihn derart in Rage bringt, dass er das Messer blitzschnell zwischen den Fingern auf den Tisch stechen lässt. Es gibt natürlich Streit, wenn auch nur angedeutet.
Die beiden Akteure trennen sich in verschiedene Räume, hängen aber wenig später Wange an Wange an der sie trennenden Tür. „Ich hätte Lust, ihn ohrzufeigen,“ sagt Anne nach einem dramatisch ausgetragenen Zwist um den gemeinsamen Schreibtisch.
„Wir alle wollen leben, wissen aber nicht, warum und wofür“
Der Darsteller Mohamad könnte diese Frage auch nicht genau beantworten. Er ist vor drei Jahren vor dem Krieg aus Syrien geflüchtet und u.a. beim AlarmTheater gelandet. Und er weiß sehr genau (!), wie es sich anfühlt, sich verstecken zu müssen. Weiter leben will er aber, wie wir alle. Und das merkt man ihm und seiner Mit-Darstellerin Joana deutlich an.
Applaus, Standing Ovations, ein paar Tränen und vielen Dank dafür,
Bielefelds Westliche
Weitere Vorstellungen gibt es am Freitag, 22. September, und Samstag 23. September, jeweils um 20 Uhr.
(Fotos: Cornelia Lembke und Rebecca Budde de Canciono, mit Dank an eine aufmerksame Bianca Fiß)