
Außer der Liebe ändert sich alles
Es wird viel geredet, und es gab zu allen Zeiten viele Themen. In der letzten Produktion des AlarmTheaters ging es aber um ganz Grundsätzliches. In „Eigentlich geht es darum“ beschäftigten sich zehn Mitglieder des jungen Ensembles um Dinge, die sie wirklich bewegen.
Doch das wollte erst einmal heraus gefunden werden. Denn wer weiß das schon spontan zu beantworten, wenn sie oder er gefragt werden würde, worum es geht? Und bezieht sich die Frage auf globale Prioritäten oder auf individuelle?
Die Antworten sind nicht so einfach zu finden und so nahm es nicht Wunder, dass der Aufführung das für das AlarmTheater typisch prozesshafte Erarbeiten des Stoffs deutlich anzumerken war, und zwar auf unterhaltsame, berührende Art und Weise. In einer komplett mit herbstlichem Laub ausgekleideten Bühne begrüßte einer der Akteure das einkehrende Publikum mit einem orientalischen Spiel auf der Saz, ein weiterer schritt, einen Obstcacher durch die Luft wedelnd im Hintergrund, eine junge Dame lag plötzlich am Boden und wühlte im Laub.
Was ist wichtig?
Um zu ergründen, was wirklich wichtig ist, müssen erst einmal – ganz logisch vorgehend – andere Dinge ausgeschlossen werden. So antwortet der syrische Flüchtling Aldelli auf die Frage „Was ist die größte Lüge der Menschheit?“ mit dem Satz: „Der Krieg, Bruder. Der Krieg“.
Es half daher auch, die anwesende Schwarmintelligenz zu befragen. Das Regieteam von Dietlind Budde und Harald Otto Schmid hatte die Idee, die Gäste bereits im Foyer Karten schreiben zu lassen mit der Frage, worum es eigentlich, also essentiell, ginge. Diese wurden während der Aufführung vorgelesen. Um Mitgefühl, Neugier und Liebe sollte es gehen. Oder um Ehrlichkeit und Vertrauen. Oder um die Familie und Freunde. Für eine eher nihilistische Variante wollte sich auf Nachfrage niemand aus dem Publikum als Verfasser bekennen: Um den Grönlandhai, Fidel Castro und die Vergänglichkeit von Grünkohl.
Die Frage nach dem Glauben blieb da nicht aus. „Es gibt etwas da oben, das meinen Weg leitet,“ war eine Darstellerin überzeugt. Aber wie heißt es? Es müsse doch auch etwas geben für die, die nicht an Gott glaubten. Die vielen Bezeichnungen für Gott waren an der Stelle ebenfalls nicht hilfreich, stattdessen beschränkte man sich auf der Bühne erst einmal darauf, woran die Akteure glaubten: „Ich glaube, ich muss verrückt sein, um die Welt zu verstehen,“ sagte eine. „Ich glaube nicht alles, was man mir sagt,“ eine andere. Oder zur ironischen Abrundung: „Ich glaube, ich werde mich heute betrinken“.
Anstrengende Erkenntnisarbeit
Der Erkenntnisgewinn ist harte Arbeit. Und es kann allegorisch verstanden werden, dass die Darsteller die von Rebecca Budde de Cancino gestaltete Bühne stets veränderten. Wurden schwere Elemente schon anfangs eindrucksvoll aus dem ganzen Haus von jedem Einzelnen auf dem Rücken unter Seufzern an den Spielort getragen, wurde daraus im Laufe der Aufführung schnell auch mal ein ganzes, rollbares Haus, das aber auch wieder – im Tanz und zu rhythmischer Musik aus dem Balkan – in Stücke brach.
Darstellerin Lina lieferte dann auch eine beeindruckende Gegenmeinung zur Feindseligkeit: „Mein eigener Krieg bleibt in mir und dringt nicht zu dir. Meinen Hass bekommst du nicht.[…] Und er will auch gar nicht raus. Ich gebe meinem Hass Zeit zu reden. Aber nur mit mir allein“.
Es blieb während der Aufführung nicht aus zu erkennen, dass ganz andere Dinge wichtiger sind als das, worüber in den Nachrichten geredet wird. Und das verbindende Glied scheint das Miteinander zu sein. Und Tanz, Musik und Spaß. Eigentlich geht es darum.
Und darum (!) erschien im Schwarzlicht erst am Ende des Stücks ein Liedtext auf den Bühnenelementen, der offenbar schon die ganze Zeit dort stand. „Todo Cambia“ von Mercedes Sosa:
Es verändert sich das Oberflächliche,
Auch das Tiefgründige ändert sich.
Es ändert sich die Art zu denken –
Alles in dieser Welt verändert sich.
Es wandelt sich das Klima, mit den Jahren,
Der Hirte wechselt seine Herde.
Und so, wie alles sich verändert,
Ist es nicht verwunderlich, dass auch ich mich verändere.
Es ändert sich, alles verändert sich.
Es verändert selbst der feinste Brillant,
Seinen Glanz, von Hand zu Hand.
Es wechselt das Vöglein sein Nest,
Wie ein Geliebter ändert seine Gefühle.
Es ändert seinen Kurs der Wanderer,
Auch wenn es ihm schadet.
Und so, wie alles sich verändert,
Ist es nicht verwunderlich, dass auch ich mich verändere.
Es ändert sich, alles verändert sich.
Die Sonne verändert ihren Stand,
Während die Nacht fortbesteht.
Die Pflanze wechselt ihr Kleid,
Trägt frisches Grün im Frühling.
Wie das Wildtier wechselt sein Fell,
Verändert sich das Haar des Greises.
Und so, wie alles sich verändert,
Ist es nicht verwunderlich, dass auch ich mich verändere.
Es ändert sich, alles verändert sich.
Was sich nicht ändert, ist meine Liebe,
Wie fern auch immer ich sein mag,
Und nicht das Andenken, und nicht der Schmerz,
Den ich mit meinem Volk, meinen Leuten empfinde.
Was sich gestern geändert hat,
Wird sich auch morgen ändern müssen.
So wie ich mich verändere,
In diesem fernen Land.
Es ändert sich, alles verändert sich.
Aber meine Liebe ändert sich nie.
Standing Ovations für die Akteure Aziz, Anna, Aldelli, Jo-Ann, Joana, Lina, Mohammad, Pia, Rodi und Zahra. Auch von hier.
(Fotos: Cornelia Lembke)